Sylvester 2022/23 beim Retreat „Innere Einkehr“ im Kloster Gerode: Das Festmal ist gerichtet. Und ich bin wieder hier an dem vertrauten Ort, um mit meiner Frau Sylvia in der Klostergemeinschaft einen feierlichen, ruhigen Übergang ins neue Jahr zu erleben – abseits von Lärm und Countdown und in einer inneren Haltung von Offenheit und Empfänglichkeit. So wie ich im Pilgern unterwegs war.
Es wird eine besondere Erfahrung. Seit dem Ende der „physischen“ Pilgertour war ich mehrfach hier: um zu arbeiten, zu fasten oder um einen Besinnungsraum in den verschiedenen Krisen der vergangenen Monate zu finden. Das Gefühl war ja immer noch da, dass der Pilgerweg in seiner spirituellen Bedeutung für mich noch nicht zu Ende war.
In den Tagen um die Jahreswende hat sich das nun deutlich verändert in einem intuitiven Wissen und einem geistigem Erkennen, dass der Weg der Friedenssuche an ein Ende gekommen ist; dass sich ein Kreis des Bewusstseins geschlossen hat.
Beim Wegfahren konnte ich diesen Unterschied ganz klar spüren und auch benennen: Die Pilgerreise, in der ich selbst als Suchender mit meiner Friedensbitte unterwegs war, hat ihren Zielpunkt erreicht. Sie begann vor fast genau einem Jahr mit den Vorbereitungen zuhause im Januar 2022, sie startete im Weg der Mitte in Berlin am 7. April 2022, kam an das Ziel am 8. Mai in Gerode und endet nun ein Jahr später wieder zuhause im Nachspüren und Reflektieren. Die Erkenntnisse, auf die ich über die vergangene schwere Zeit gehofft hatte, wurden mir in diesen Tagen der Ruhe und Intimität geschenkt. Und ich erinnere mich an das Symbol für den Weg, das Anna für die Auftaktveranstaltung so wunderschön gestaltet hatte:
Ja, die Blumen begleiteten mich unterwegs auf dem silbernen Weg vor allem als Begegnungen mit den Menschen; die Türen des Ein- und Austretens und der harte Boden der Alltagsrealität darum herum waren die zu bewältigende Herausforderung davor und danach!
Hier (in diesem eher öffentlichen Raum) erscheint es mir nicht angebracht, das im Detail auszuführen. Aber einige wichtige Punkte möchte ich doch benennen, besonders in Respekt zu den Menschen, die meinen Weg interessiert verfolgt, persönlich begleitet und ideell und materiell unterstützt haben. Es sind auch Aspekte, die geeignet sind, eine Entscheidung zum Pilgern in der Tiefe als eine Lebensentscheidung zur Transformation zu begreifen.
Über die Gefahr der Überschätzung meiner Energie (und dazu gehört auch, diese planbar abrufen zu können) habe ich in den letzten Einträgen hier schon gesprochen. Mein Körper hat sehr deutlich reagiert, die Zeit bis in den Winter hinein war von körperlicher Eischränkung und Krankheit überschattet. In all dem trotzdem (m)einen Frieden zu finden – oder vielleicht besser: zu behalten – gelang mir erst jetzt in diesen Tagen. Das ist verbunden mit der Erkenntnis, wie sehr uns eine ängstliche Fixierung auf das Negative schwächt. Mein Geist hatte sich in Reaktion auf die Körpersymptome „auf die Lauer gelegt“ und das war erst in der vollkommenen Ruhe der Auszeit erkennbar. Natürlich „wusste“ ich das schon immer; hier lassen sich aber auch gut „Wissen“ und „Erkenntnis“ unterscheiden: letztere ist lebenspraktische Verfügbarkeit und seelische Verankerung. In diesem Thema ist wie so oft eine Parallele zur gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den globalen Krisenthemen zu finden.
Auf der anderen Seite durfte ich aber auch noch einmal deutlich sehen, wie viele Menschen sich über die Reise hatten berühren lassen. Dies jetzt an diesem Ort und in diesem Abstand noch einmal zu erfahren, führte zu einer ganz neuen Bestärkung meiner weiteren Ausrichtung, wie ich in den nächsten Jahren wirken möchte. In ihr spielt meine Verbindung zu Gerode, zu den Menschen, dem Ort und den dort ganz natürlich aufkeimenden Themen von Innerlichkeit, Erweiterung und Befriedung eine wesentliche Rolle.
Das Alles in das kürzest mögliche Resümee gepackt:
Es gibt einen Frieden im Unfrieden.
Und deshalb brauchen wir ein Zentrum für den Frieden, wie es in Gerode wachsen wird, in dem die Wege dahin erforscht und gefördert werden, in dem der Frieden in den Gegensätzen gesucht und das Trennende im Konflikt überwunden werden kann. Es wird ein „Weg der Mitte“ sein.
Reinhard Billmeier, im Januar 2023