Der Montagmorgen beginnt mit Einschränkungen: es regnet und da ich in der Unterkunft kein Frühstück bekomme, muss ich zum NP Markt in der Nähe, wo es ein kleines Stehcafé gibt mit Dingen, die ich normalerweise nicht so zu mir nehme. Aber pilgern heißt ja immer wieder auch nehmen, was kommt. Der Regen hält glücklicherweise nicht lange an, und so gehe ich wieder einmal einen Kanal entlang in Richtung Sievershausen. Irgendwann verliere ich die Orientierung, und finde mich auf einem Wiesenweg wieder, wo sich nach kurzer Zeit erweist, dass meine Schuhe doch nicht wasserdicht sind. Nach einer halben Stunde sind Schuhe, Strümpfe, Einlegesohlen tropfnass, und ich beginne mir Sorgen zu machen, dass das in einer Erkältung enden könnte.
Und es kommt wieder einmal ganz anders: Ich finde im nächsten Ort eine kleine Bäckerei, in der ich mich erst einmal aufwärmen kann und im Gymnastikstudio daneben, darf ich mich umziehen. Die tropfnassen Einlegesohlen werden in Plastiktüten verpackt, und so kann ich tatsächlich trockenen Fußes in meinen Turnschuhen weitergehen. Es ist nicht mehr sehr weit zum Antikriegs-Haus in Sievershausen, dass ich am Nachmittag erreiche.
Es ist ein besonderer Ort, dessen Magie ich mir überhaupt nicht erklären kann. Ich spüre einfach, dass das ein Kraftplatz ist, obwohl ich den Begriff „Antikriegs-Haus“ nicht mag, ich fände „Pro Frieden“-shaus besser.
Es ist Sonntagabend und ich sitze in einem kleinen Zimmer, in einer typischen Monteurunterkunft. Die letzten Tage waren so voll, meist auch an den Abenden, dass ich erst heute wirklich Zeit finde, den Weg und was mir darüber hinaus noch wichtig erscheint zu beschreiben. Petra hat die treuen Blog-Leser ja schon darüber informiert, dass es mir manchmal einfach nicht möglich ist, mich am Abend noch aufs Schreiben zu konzentrieren. Heute bin ich früh dran. Der Weg war nicht besonders weit. Ich bin wieder allein unterwegs und es gibt auch nichts vorzubereiten.
In den letzten Tage war das ja meist anders:
Mit dem Weg von Gardelegen nach Kusey habe ich eine lange Phase des allein unterwegs Seins abgeschlossen. Die Tage seit Mittwoch bis gestern waren gefüllt von Begegnungen und dem Zusammensein mit vielen vertrauten Menschen und dem Eintauchen in ihre familiären Situationen.
Ich habe mich darin sehr angenommen und ausnahmslos wohl gefühlt. Ich war eigentlich immer Teil einer Familie und die Hilfsbereitschaft war enorm. So ging es zum Beispiel immer mal wieder darum, mich und andere Mitpilgernde irgendwo hinzubringen oder abzuholen, um den Weg anzupassen, das Gepäck zu transportieren oder um Material zu den Veranstaltungen zu bringen. Es fühlte sich fast so an, als ob ein ganzer Fuhrpark nötig wäre, um das Pilgerprojekt zu unterstützen: Bis Wolfsburg Petra und ihre Tochter Anna als Chauffeurinnen, in Wolfsburg dann Colins Eltern, die uns und Colins kranke Tochter entsprechend von da nach dort transportierten, so dass alles wie am Schnürchen laufen konnte.
Die Hilfsbereitschaft und das bedingungslose Angenommensein erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Dies war eine wunderbare Grundlage für die Veranstaltungen, die vor mir lagen.
In Wolfsburg war in den 2 großen Zeitungen jeweils ein ausführlicher Artikel zu dem gesamten Pilgervorhaben und zu der Veranstaltung in der Heilig-Geist Kirche – einem spektakulärer, moderner Kirchenbau des finnischen Architekten Alvar Aalto – erschienen. Und so waren wir alle, Petra, Colin und sein Vater, der ebenfalls mitkam, entsprechend neugierig, wieviele Menschen denn wohl kommen würden.
Wir waren dann zusammen 15 Personen im Gemeinderaum. Eine gute Anzahl, um miteinander wirklich ins Gespräch zu kommen. Im ersten Teil erläuterte ich den Sinn und Zweck der Pilgerreise, im zweiten Teil sprach ich darüber, dass wir mit dem Frieden in uns selbst beginnen sollten, und nach einer Pause endete der Abend mit einer Meditation zu diesem inneren Frieden.
Ein wenig enttäuscht war ich schon, dass sich trotz der enormen journalistischen Vorarbeit nicht mehr Menschen eingefunden hatten. Gleichwohl fühlte sich der gesamte Abend rund und stimmig an.
Heilig-Geist-Kirche, WolfsburgFrauenkapelle, Kloster Riddagshausen
Überraschenderweise war das gestern, 2 Tage später, in Braunschweig genauso: Auch die kleine Kapelle, die man mir dort in der Riddagshauser Klosteranlage zur Verfügung gestellt hatte, war ein wunderschöner kleiner Raum. Ob die Veranstaltung in der Zeitung überhaupt angekündigt worden war, dazu wusste ich nichts, denn es gab keine Rückmeldung an mich.
Nun: ich bin nicht allein geblieben. Es kam eine nette ältere Dame, mit einem Zeitungsausschnitt in der Hand, der die Veranstaltung vor über 2 Wochen in 3 Sätzen angekündigt hatte. Wir kamen gut miteinander ins Gespräch und haben die Zeit mit einer kleinen Besinnung zum Friedensthema beendet. Die besagte Überraschung war tatsächlich, dass ich keinerlei Enttäuschung in mir spürte. Es war wie es war und es war gut so.
Um meiner Selbstfürsorge treu zu bleiben, bin ich heute Morgen von Riddagshausen im Südosten nach Lehndorf im Nordwesten von Braunschweig mit dem Bus gefahren. Der Weg aus der Stadt heraus führte durch riesige Heimgartenanlagen, ein kleines Waldgebiet und dann durch Felder und Wiesen.
Das ist mir alles deutlich vertrauter als die endlosen landwirtschaftlichen Flächen zwischen Berlin und Gardelegen. Obwohl die Landschaft sehr eben ist, fühlt sich das alles hier deutlich heimatlicher an.
Nach einem geselligen Abschied von Colin und seiner Tochter und von gemeinsamen Freunden, die zu Besuch kamen, bin ich am Samstag Morgen wieder allein unterwegs. Der Weg am Rande des Elms war so schön wie das Wetter und die nun langsam aufblühenden Rapsfelder.
Im Kloster Riddagshausen wurde ich erwartet und freundlich empfangen. Die ganze Klosteranlage und die umgebende Siedlung haben den Charme der vergangenen Jahrhunderte bewahren können. Übernachtet habe ich nach vielen privaten Einladungen diesmal wieder in einem Hotel in der Nähe des Klosters.
Am Freitag gesellte sich Jeff zu uns, der schon den ersten Tag von Berlin nach Potsdam mit gepilgert war. Schweigende Phasen mit Achtsamkeitsübungen wechselten sich mit interessanten Gesprächen ab. Colin und ich waren sehr fasziniert und berührt von Jeffs Erzählungen, wie er die Wendezeit erlebt hatte.
Wir beendeten diesen Männer-Pilger-Tag im mächtigen Dom in Königslutter – und im Café daneben. Jeff nahm den Bus zurück nach Wolfsburg. Wir hatten noch den Weg zu Collins Wohnung im kleinen Rottorf.