Ich komme meiner Heimatstadt Hildesheim näher. Es erreicht mich die Nachricht, dass in der Hildesheimer Zeitung die Veranstaltung am Freitag und der Pilgerrundweg am Samstag (beides zusammen mit Pastor Lutz Krügener) groß angekündigt worden ist. Die Chancen auf eine rege Teilnahme sind also gut.

Ich bin derweil (am Mittwoch) aus meiner kleinen türkischen, familiären Pension in Burgdorf – wieder bei schönstem Wetter – aufgebrochen. Sowohl das Städtchen als auch die Landschaft drumherum begeistern mich. Wie in den Tagen vorher schon bin ich verwundert durch eine vermutete Rübenwüste gepilgert, die dann ganz anders war als vorgestellt.

Und dann passiert es.

Obwohl ich vor- und umsichtig abseits der Wege im Wald unterwegs war, bricht ein stabil anmutender Baumstamm unter mir zusammen und ich ziehe mir eine leichte Verletzung am Oberschenkel zu, die zunächst recht schmerzhaft ist, nach Behandlung mit meinen mitgeführten Hausmitteln erträglich erscheint, mich aber nach einigen Kilometern doch zum Aufgeben bereits in Kirchhorst zwingt. Es wird so der kürzeste Pilgerweg, keine 10 km.

Natürlich sind da sofort die Sorgen präsent, wie das weitergehen kann. Nun: zunächst sitze ich im Bus nach Hannover, der mich mitten in die Stadt bringt. Kurz vor der Bushaltestelle habe ich noch ein besonderes Erlebnis in der kleinen Kirche am Weg, die wundersamerweise leer und offen ist und mit einem Kreuz am Altar versehen, das mich berührt und fasziniert und mir wie „geschickt“ zu meiner Verletzung erscheint: Es ist ein gleichschenkeliges Kreuz aus Ruten geflochten, in das frisch aufsprießende Zweige geflochten sind. Es ist das Leben im Tod, das Neue im Sterbenden, die Hoffnung im Schmerz!

In Hannover werde ich von meinen Freunden Erika und Konrad erwartet, allerdings nicht so zeitig!

Wie gut es ist, die Sorgen teilen zu können! Es stellt sich heraus, dass die Verletzung trotz des Schmerzes recht oberflächlich ist und ich beginne wieder Hoffnung zu schöpfen, dass ich am Donnerstag doch weiterpilgern könnte; es hat sich Claudia zum Mitpilgern angemeldet, die selbst etwas vorsichtig mit der zurückzulegenden Strecke war und so vereinbaren wir noch per SMS, mit der Tram ein wenig weiter aus der Stadt rauszufahren und uns so zu treffen, dass bis Sarstedt ca. 15 km zu gehen sein würden. Ich bin in vorsichtiger Hoffnung, dass sich die Schürfung über Nacht beruhigen könnte.

Am Abend ist zunächst im Seminarraum meines Freundes Matthias im NIS Hannover eine weitere Veranstaltung geplant. Er selbst kann gar nicht dabei sein, die Zeitung hat das nur sehr versteckt und minimal angekündigt und so wird es mit 9 Teilnehmenden eine intensive und intime Runde im Freundeskreis von Menschen, zu denen eher „familiäre“ Bezüge bestehen. Für mich ist es sowieso Heimat, seit 15 Jahren leiten wir gemeinsam dort die monatlichen Mittwoch-Morgen-Meditationen an und nun wächst auch dort das Interesse am Friedensort Gerode. Neben den Spenden ist das immer ein zweiter Gewinn: die Menschen, die kommen, werden aufmerksam und neugierig auf den Ort, dem ein solches Projekt gewidmet ist.

Am Donnerstagmorgen kann ich feststellen, dass sich die Wunde beruhigt hat, ich kann nicht gut sitzen aber offensichtlich gut gehen. Nach einem herzlichen und berührenden Abschied – Erika und Konrad singen mir den irischen Reisesegen, der mich auch in Berlin auf den Weg gewiesen hat, fahre ich mit der Straßenbahn und mit erstarktem Mut zum vereinbarten Treffpunkt im Süden der Stadt. Claudia und ich waren uns schon in Gerode begegnet und wir finden schnell einen meditativen Einstieg in den Tag. Ich spreche über meinen Vorbehalt, dass ich mir nicht sicher sein kann, den ganzen Weg zu schaffen.

Das Wetter ist traumhaft, die Landschaft entlang der Leine, der Innerste und der Giftener Seen ist wunderschön. Und es fällt mir nicht schwer, den ganzen Weg dabei zu bleiben. Es hat sogar eine tiefere Dimension, die ich nur andeuten kann: Die „Wunde“ schmerzt nicht und hindert mich nicht und doch ist sie dauernd präsent.

Wir erreichen die alte Saarstedter St. Nicolaikirche, die wir uns als Pilgerziel gesetzt hatten, um den Tag rituell ausklingen zu lassen. Sie ist verschlossen.

Aber sie bleibt es nicht. Wir, (und besonders ich mit meinem Pilgerwagen) als „Nicht-Touristen“ erkennbar, werden von einem Mann angesprochen, der sich als Kirchenvorstand vorstellt und für uns beide die Kirche aufschließt. Und so haben wir einen guten Ort, die gemeinsame Zeit besinnlich zu beenden.

Claudia fährt mit der Straßenbahn zurück und ich gehe zum Zug, um diesen Tag entgegen der Planung mit einer Fahrt nach Hause in Hildesheim abzuschließen, wo ich die immer unwichtiger werdende Verletzung besser versorgen kann. Und hier schreibe ich am Tagesende noch diese Zeilen.

Weg und Bilder auf Komoot: 19. Pilgertag, von Burgdorf nach Hannover

Weg und Bilder auf Komoot: 20. Pilgertag, von Hannover nach Sarstedt